Donnerstag, 14. Mai 2009

Vorbild Calcio

Ich muss jetzt mal eine Lanze für den italienischen Fußball brechen. Im Fußball geht es entgegen landläufiger Meinung nämlich besser zu als in Restitalien. Aus Deutschland bekomme ich man manchmal Interviewanfragen, die die unglaublichen Zustände im italienischen Fußball betreffen. Man wird, wenn man drei Sätze geradeaus schreiben kann und sich auch sonst nicht auffällig dumm anstellt, in Deutschland extrem schnell zum Italien-Experten, das liegt vielleicht daran, dass den Deutschen Italien immer ein bisschen unheimlich geblieben ist. Wenn ich mir angucke, wer dann so als Mafia-Insider oder als Vatikan-Experte auftritt, könnte ich mich manchmal wegwerfen vor Lachen. Und wenn ich mir vorstelle, dass ich bestimmt an irgendeiner Stelle mit dem Zusatz "Fußball-Expertin Italien" versehen werde, kriege ich dicke, dicke Dackelfalten und schäme mich. Unter den Blinden ist der Einäugige König.
Wo war ich stehen geblieben? Ach so, die Zustände. Ich finde, es ist so: Während im wirklichen Leben Vertreter einer italienischen Regierungspartei den Vorschlag machen, in der Mailänder U-Bahn Waggons nur für Einheimische bereit zu stellen, wird Rassismus im Stadion mit Bußgeld geahndet. Während sich das Parlament alle Mühe gibt, Ausländern in Italien mit immer absurderen Gesetzen das Leben zu erschweren, sind im Stadion gottseidank schon verbale Pöbeleien verboten. Während hier Minister mit einem Schwein über Moscheen-Grundstücke laufen wollten, hat der Fußballverband zu jeder Gelegenheit Rassismus verurteilt. Ja, es muss mal gesagt werden: Der Fußball ist besser als die Politik. Vielleicht liegt es ja daran, dass für den italienischen Fußball die Uefa zuständig ist. Für Italien aber fühlt sich schon lange niemand mehr zuständig.

7 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Erfrischende Sichtweise! Und ich bin mir gar nicht so sicher, ob nicht auch in Deutschland der Fußball in Sachen Sensibilität für Rassismus manch andere gesellschaftlichen Bereiche inzwischen eingeholt hat. Was ja gut wäre, weils zeigt, was alles möglich ist.

Easyfunk (Welt Hertha Linke) hat gesagt…

Na, wenigstens mal ein wenig Selbstkritik, was die Berichterstattung über italienischen Fußball angeht. Deine Berichte in der SZ tragen ja nicht unwesentlich zum deutschen Bild über italienischen Fußball bei. Korruption, Gewalt, Rassismus sind in den Artikeln ja die gängigen Themen. Wie soll man mangels eigener Teilnahme ein alternatives Bild entwickeln?

Andererseits muss ich sagen, dass es rhetorisch zwar geschickt ist, Schlechtes (Fußball) mit noch viel Schlechterem (Politik) zu vergleichen, um ersteres in einem vermeintlich gutem Licht darzustellen. Aber inhaltlich erscheint es mir fragwürdig, den italienischen Fußball mit seinen vielen rechten Kurven nun als das Gegenmodell zum rassistischen Staat darzustellen. Nee, das passt nicht...

birgit schönau hat gesagt…

Aber, lieber Easyfunk, Selbstkritik immer gern. Was indes meine SZ-Berichte über den calcio angeht: die sind nicht erfunden. Und stehen auch nicht im Gegensatz zu dem Gedanken, dass im italienischen Fußball immerhin mehr passiert als in der Politik. Die rechten Kurven sind kein Gegenmodell zum italienischen Staat (wo genau hast du das nun wieder gelesen???). Es ist nur so, dass für den Fußball mittlerweile europaweit gewisse Regeln gelten. Vulgo: Wenn Balotelli von Juve-Fans rassistisch beschimpft wird, muss Juve dafür blechen. Aber die Jungs von der Lega Nord können so fremdenfeindlich sein, wie sie gerade wollen.

Easyfunk (Welt Hertha Linke) hat gesagt…

Da liegt ein Missverständnis vor. Vor dem Hintergrund, was man über die Realität in den italienischen Stadien weiß (also z.B. durch deine Artikel), also dass trotz Verboten und Sanktionen rassistische Kurven weite Verbreitung finden, kann man den Fußball nicht als etwas positives gegenüber dem noch rassistischeren Staat positionieren. Diese Intention habe ich zumindest diesem Blogbeitrag zugerechnet. Und ich denke, dass der Fußball eben nicht als positives Beispiel zur Kritik am italienischen Staat taugt. Das meinte ich.

Easyfunk (Welt Hertha Linke) hat gesagt…

Also noch mal deutlich: Der italienische Fußball taugt ganz sicher nicht als Vorbild. Dafür scheint er mir zu rassistisch zu sein. Zwar weniger als die Politik, aber noch zu rassistisch, um als Vorbild zu gelten. Darum geht's.

birgit schönau hat gesagt…

So wie man im Fußball Rassismus ahnden kann, könnte man ihn auch außerhalb der Stadien ahnden, das meinte ich. Im Moment ist es doch so, dass, meinetwegen im römischen Stadio Olimpico die Spruchbänder gefilzt werden, während unter meinem Wohnhaus immer neue Fascho-Plakate kleben. Mit Vorbild Fußball ist natürlich nicht gemeint, dass der italienische Fußball vorbildlich für den Rest der Welt ist. Sondern, dass es im Fußball derzeit infolge der europäischen Kontrolle Sanktionen gibt, die man anderswo vergeblich sucht.

Easyfunk (Welt Hertha Linke) hat gesagt…

So formuliert, findet das meine volle Unterstützung!

Grüße